H U-Bhf. Ernst-Reuter-Platz

Wenn man vom Bahnhof Zoo nach Westen fährt oder geht, kommt man an den Ernst-​Reuter-​Platz. Da kann man sich fragen: Ist das ein Platz oder ein Kreisverkehr? Zumindest steht in der Mitte ein Springbrunnen, der, als ich nach Berlin kam, sommers wenigstens immer sprang bzw. in Betrieb war. Heutzutage ist es nicht mehr so, da bleibt er ausgeschaltet. Schließlich sind die Wasserbetriebe jetzt ja auch privatisiert worden. Warum gab es eigentlich darüber einen Volksentscheid über die Offenlegung dieser Betriebe, der gewonnen wurde, wenn alles beim alten bleibt, Herr Rudek, sie waren der Initator? Ach ja, Herr Rudek, ich weiß, sie machen viel mehr als ich und können auch nicht alles.
Der Ernst-​Reuter-​Platz war aber auch der Platz, indem ich gerne in einen Laden ging. Der Laden war eine Institution und hieß Kiepert. Der alter Herr Kiepert arbeitete sehr lange dort mit und saß mit seinem Schäferhund in einem kleinen, fensterlosen Büro bis er durch die Wende, durch eine zu schnelle Expansion, durch falsches Management bankrott ging. Schade, aber dieser Laden ist ein exemplarisches Beispiel dafür, daß es von nun an bergab ging. Den Geografieladen von Regine Kiepert, die auch immer die schönen Sommerfeste bei Kiepert organisierte, gibt es immer noch gegenüber der Mensa der TU. Dort kann man auch alle Bücher kaufen.
Also den Ernst-​Reuter-​Platz kann man vergessen. Für mich ist das gar kein Platz.
Gibt es überhaupt noch Plätze?
Plätze sind doch früher erstmal auf dem Dorf entstanden. Da saß man dann nach der Arbeit unter dem Lindenbaum, die jungen Männer blinzelten die jungen Frauen an, sowas gibt es heute gar nicht mehr. Gibt es eigentlich noch Augenblicke?
Ich glaube ja, aber nicht auf den populären Plätzen in Berlin, die ja wie schon erwähnt keine sind. Aber man sprach auch über Sorgen und Nöte und einer half dem anderen, so war das im Dorf und auch in den Kleinstädten, weil die Stadtrechte erhielt man ja durch den Adel oder durch Napoleon und so wurden viele Dörfer zu Kleinstädten, erhielten aber ihren dörflichen Charakter, ja bis dann irgendwann so in den 60er Jahren die endlos Ketten und Fußgängerzonen auftauchten, sodaß eigentlich jede Stadt im Zentrum ähnlich aussieht und aus ist es mit der Idylle.
Man kann sich nicht mehr austauschen, dafür gibt es jetzt Qype, um sich einen Arzt zu suchen, muß man erst zu Qype gehen. Was ist das blos für eine Zeit, in der man nicht mehr vertrauensvoll einen Arzt aufsuchen kann und auch sicher sein kann, der einem hilft. Früher gab es wirklich noch Hausärzte, heutzutage muß man einen ärztlichen Bereitschaftsdienst antelefonieren, der kommt dann, wenn der Patient schon beinahe tot ist. Und ich will nicht sagen, daß das an den Ärzten liegt, sie spiegeln doch nur unsere Gesellschaft, die so kalt und häßlich geworden ist, wider. Manche, die meinen das man ihnen hilft, gehen dann zur Charite Rettungsstelle und sitzen dort stundenlang. Ja, das sind die amerikanischen Verhältnisse oder sind das indische Verhältnisse?
Warum gebe ich dem Ernst-​Reuter-​Platz aber fünf Punkte?
Dort habe ich die schönste Zeit meines Lebens erlebt. Endlich war ich von Büchern umgeben, endlich konnte ich lernen, denn in Berlin auf dem Berlin-​Kolleg habe ich mein Abitur nachgeholt und konnte mich an der TU immatrikulieren und das waren wirklich die schönsten Jahre meines Lebens. Und noch ein Geheimtip: Hinter den Universitätsgebäuden ist es sommers immer schön grün und dort gibt es wunderschöné idyllische Plätzchen zum sich Verlieben, zum Gedankenaustausch, zum den weißen Wolken nachzuschauen und Kaffee zu trinken.