Balıkcı

Es ist schon länger dass ich auf der Gitschiner war. Die Türken haben vielleicht ein anderes Verständnis von Fischgerichten. Mir hat es absolut überhaupt nicht gefallen. Scholle mit wenig Fischfleisch und dazu trocken und hart gegrillt war nicht genießbar.
Also ein Versuch und nie wieder!

FISH AND TIPPS
Klar, ja, weiß ich ja, Klischees und Mythen erleichtern das Leben, vermeiden anstrengendes Nachdenken und reduzieren die Komplexität des Universums. Man soll das zu schätzen wissen. Daß das letzte Hemd keine Taschen hat, Mallorca im Landesinneren immer noch sehr schön und die Gastfreundschaft der Orientalen legendär sein soll, die Eskimo fünfzig oder meinetwegen auch fünftausend Wörter für Schnee haben und Schwarzafrikaner für ihre kindliche Unbekümmertheit bekannt sind, das ist solides Weltwissen, von dem man nicht weiß, wie weit es einen noch mal tragen wird. Dieses geistige Kapital bekommt man nicht in die Wiege gelegt, das muß man sich pfennigweise zusammensparen, indem man ausdauernd und gedankenfrei nachplappert, was der berühmte Volksmund so daherredet, wenn der Tag lang ist.
Eine dazu ebenfalls geeignete, sowohl sinnfreie wie unbeweisbare Weisheitsperle aus dem Bereich der Kulinarik besteht in der oft gehörten und zu lesenden Behauptung, die türkische Küche sei, gleich nach der französischen und der chinesischen, die raffinierteste, phantasievollste und vielseitigste des Erdkreises. Hieran möchte ich eine kleine besserwisserische Korrektur anbringen: Es handelt sich genau genommen vielleicht eher um eine der phantasieärmsten, stur traditionsverhaftetsten, ängstlich am Hergebrachten klebenden Küchen der Welt.
Das will nicht heißen eh jetzt einer aufschreit und von Großmutters zentralanatolischen Mantı (einer Art Mini-​Maultaschen) schwärmt, von Ciğer-(Leber-)Köfte, Bulgur mit Walnüssen oder Mamas speziellem Haydarı das bedeutet nicht, daß es keine wohlschmeckenden türkischen Gerichte gibt. Für ein Lamm nach Tandır-​Art im Erdofen gebacken führe ich meilenweit!
Nur ist leider der Kreis dessen, was man am heimischen Herd oder im Restaurant zubereitet, bestürzend eng gezogen, gleichförmig, ohne Mut zum Experiment, ohne Öffnung zu heutigen (!) anderen Kulturen, von den Zutaten bis zur Zubereitungstechnik engstirnig, konservativ und redundant. Es gibt gebratenes, gesottenes und gegrilltes Fleisch, Lamm und Rind, etwas Tavuk (Huhn) dazu. Fertig. Was es an Gewürzen, Marinaden und Pasten braucht, stammt nicht aus der Türkei, sondern aus dem arabischen Raum und den Landstrichen, welche die osmanischen Eroberer mal besetzt hielten. Man schlendere durch einen hiesigen türkischen Supermarkt sein typisches Sortiment spiegelt nicht nur den aufdringlichen Erdoğan-​Chauvinismus wieder, es ist auch ein Ausdruck der furchtsamen Verschlossenheit vor fremden Einflüssen.
Insofern kommt es einer Sensation gleich, daß jetzt im Viertel in einem vormaligen Pizza-​Italiener, der dann ein Pizza-​Inder wurde ein türkisches Fisch-​Restaurant (Balıkcı) aufgemacht hat! Schon dafür, nicht den 25. Holzkohlengrill an der gleichen Kreuzung aufgemacht zu haben, gehört den Entrepreneurs eine Sonder-​Medaille! Auch wenn mein Urteil über die türkische Küche auf dreissigjähriger sowohl innerfamiliärer wie gastronomischer Erfahrung beruht, lasse ich mich immer gern Lügen strafen. Also gleich dahin! Und? Regiert hier die von mir vermisste weltläufige Vielfalt? Auf den ersten Blick könnte man das denken, die kleine Karte bietet immerhin Hamsi, Istavrit, Uskumru, Mezgit, Alabalık, Levrek, Cupra, Barbun, Merluze, Lüfer und Kalkan! Freilich sind das bloß div. Fischsorten (also Sardellen, Stöcker, Makrele, Forelle, Wolfsbarsch, Dorade, Meerbarbe, Seehecht, Blaufisch und Steinbutt), und bis auf die Sardellen, die in der Pfanne gebraten oder frittiert werden, schmeißt der Usta (Meister!) genannte Koch jedweden Fisch umstandslos schlicht auf ein und den nämlichen, offen einsehbaren und olfaktorisch beeindruckenden Grill, macht es, das Meeresgeziefer, dort fertig und ornamentiert dann das (immerhin nicht trocken gebrannte!) Grill-​Gut mit einer gleichförmigen Deko-​Garnitur, und fertig ist die ganze Fisch-​Raffinesse. Es gibt aber auch panierten Backfisch und Tintenfischringe.
Die angebotene Fisch-​Suppe erweist sich, wie die Gattin fast schon ergriffen konstatierte, als das Fadeste und Anspruchsloseste, das sie je unter diesem Titel hat verspeisen gemußt. Fischabfälle in einem wässrigen Sud mit Curcuma und falschem Safran.
Aufregend, gar phantasievoll oder vielfältig ist das alles nicht. Zum Glück liebe ich als norddeutscher Fischkopf auch das Derbe und Einfache, zum Beispiel eben etwa gegrillten Fisch, auch ohne Kräuter und raffinierte Saucen. Ich kann ein echter Prolet sein, manchmal. Andererseits, für schlicht gebratenen oder gegrillten Fisch muß ich aber eigentlich nun wirklich nicht in ein Restaurant, weil ich so etwas unterm Strich, wie jeder halbwegs erfahrene Hobby-​Koch, selbst besser, frischer, würziger und delikater kann. Selbstredend habe ich auch selbst hier, die Islamisten scheinen alles im Griff zu haben, im Fischrestaurant (!) lediglich die Wahl, zum Meeresgetier entweder Coca Cola, Fanta, Ayran oder Wasser zu trinken. Wir sind ein alkoholfreies Lokal heißt es stolz. Auf was man halt alles stolz