Shin Gi Tai Karate-Do

Vor ca. 10 Jahren bin ich durch Zufall beim Kreuzberger Karateverein ShinGiTai gelandet. Ich hatte zuvor viele unterschiedliche Sportarten betrieben und war dann lange Zeit in diversen Fitnessstudios. Irgendetwas hatte mich aber immer gestört. Auf der einen Seite war ich zwar zeitlich flexibel und körperlich auch gut fit, aber ich merkte spätestens nach einem halben Jahr, dass es mich anfing zu langweilen und ich zu einem der vielen zahlenden Karteileichen eines Fitnessstudios wurde.
Der Altersdurchschnitt bei den Erwachsenen liegt weit über 30 Jahren — das liegt zum Teil sicher auch daran, dass Sensei Carlos Molina viele langjährige Mitglieder um sich schart, die teils seit mehr als 20 Jahren dabei sind. Zum anderen ist traditionelles Shito Ryu Karate auch keine Sportart, die man mal so zwischendurch erlernt und sich dann sagt, das kann ich jetzt und dann das nächste anfängt. Es sind übrigens Männlein und Weiblein relativ gleichmäßig verteilt und unterschiedliche Nationalitäten vertreten. Es wird auch kein Vollkontakt trainiert, sondern vor dem Gegner abgestoppt. Genauso wird respektiert, wenn man die ein oder andere Übung nicht mitmachen möchte oder wenn jemand irgendein körperliches Zipperlein hat (Problem mit der Hüfte, mit dem Knie, beim Hinfallen etc.).
Zunächst ging es mir nur darum, mich selbst verteidigen zu können und gute und effektive Techniken zu erlernen. Wie ich nach und nach feststellte, geht Shito Ryu Karate weit darüber hinaus, von Atemtechniken, über Konzentration, Schnelligkeit, Selbstbeherrschung, Körpergefühl bis hin zu Respekt, Bescheidenheit, Gelassenheit etc. etc.
Ich hatte früher immer großen Respekt von Schwarzgurtträgern. Was ich nicht wußte ist, dass es mit dem Schwarzgurt erst so richtig mit dem Karate losgeht — man hat das Handwerkszeug und kann so langsam sein eigenes Karate entwickeln — was zum eigenen Körper, zur eigenen Atmung etc. passt. Es werden im Shito Ryu auch jede Menge an Katas erlernt (im Shito Ryu über 60 Katas!), was einen am Anfang erst mal zur Verzweiflung bringen kann. Aber eines passiert nicht, es wird nie langweilig. Zwischendurch erzählt Carlos auch immer mal wieder einiges zur Historie, wird mal philosophisch — aber es artet auch selten in einer Plauderstunde aus.
Ich habe vor kurzem meine 3. Danprüfung vor Soke Mabuni Kenei abgelegt. Das interessante ist, dass ich mich zwar heute sicherlich im Ernstfall selbst verteidigen könnte, aber dass mir dies nicht mehr wirklich wichtig ist. Es erst gar nicht zum Kampf kommen zu lassen, hat da schon eine höhere Priorität. Der größere Kampf besteht da schon eher mit mir selber.
Und ich habe das Gefühl, dass mein Weg, mein Karate-​Do erst gerade gestartet ist und ich noch jede Menge lernen muss. Das merke ich gerade im Kobudo-​Training, mit dem ich vor kurzem angefangen habe. Ein Bekannter sagte mir mal, Carlos sei kein Lehrer sondern ein Meister, ein Sensei. Anfangs hatte ich dies nicht wirklich verstanden und für einen netten Spruch gehalten. Aber vielleicht ist da doch was dran.
Also, wer sein Bein möglichst weit nach oben schleudern will oder nur schwitzen will, oder zeigen will, wie toll er ist, ist sicherlich bei ShinGiTai nicht so gut aufgehoben. Es gibt zwar auch kostenlose Probetrainings wie bei den meisten Karateschulen — ich würde aber allen wirklich Interessierten empfehlen, mal drei Monate dabei zu sein und sich dann erst zu entscheiden.