S-Bhf. Beusselstrasse

Ein S-​Bahnhof wie jeder andere:
Viel zu wenig Bänke und Sitzmöglichkeiten, ziemlich versifft und mit Plakaten zugekleistert (nicht wie die Warschauer Straße, aber eben auch nicht so sauber).
Im Winter zieht es eisig und wenn dann noch die S-​Bahn mal wieder 20 Minuten Verspätung hat ärgert man sich, dass man nicht die U-​Bahn genommen hat.
Zumindest gibt es hier einen Fahrstuhl, funktionierende Fahrkartenautomaten und ein Mitarbeiterhäuschen, was täglich besetzt ist.

Der S-​Bahnhof Beusselstraße ist quasi mein S-​Bahnhof um die SBahn zu erreichen. Am Bahnhof ist meist etwas los, abends aber eher ruhig. Die Anzeigen und Automaten an der Beusselstraße funktionieren meistens, was in Berlin nun wirklich nicht immer der Fall ist.
Der S-​Bahnhof Beusselstraße ist, so wie die Beusselstraße selbst, immer sehr schmutzig. Unangenehme Zeitgenossen gibt es nur eher selten. Dadurch, dass der Bahnhof unter einer stark befahrenen Brücke liegt ist es meist sehr laut, dunkel und kalt. Der Großteil ist überdacht, das Ende liegt allerdings komplett im freien. Durch die freie Lage und der Brücke regnet und schneit es auch ganz gern von allem Seiten auf den Bahnsteig.
Kein schöner S-​Bahnhof, aber funktional.

Der Bahnhof Beusselstrasse ist meist mein Startpunkt um in die weitere Umgebung zu kommen. Ein Teil des Bahnhofs liegt unter freiem Himmel (sehr toll, wenn die Sonne scheint, kann man sich in den paar Minuten Wartezeit noch etwas sonnen).
Leider liegt der andere Teil unter einer Brücke. Und das mag ich nicht so sehr (kein Licht, kein GPS-​Empfang).
Ich bin meist froh wenn ich hier wieder weg bin, denn die Sauberkeit des Bahnhofs gerade in den Treppengängen hält sich auch in Grenzen.

Beusselstrasse. Welch Klang schwingt hier mit.
Wie «Boy», was auf die vielen Gangs hindeuten könnte, die hier so gern ihre Reviere erkämpfen, markieren, verteidigen. Bestehend aus den planlos vor sich heranwachsenden Zukunftslosen ohne Hauptgewinn. Sie sind Berlin.
Beusselstrasse. Wie «Brandgeruch spontanentzündeter Altpapiertonnen in Hinterhöfen», «Bratendunst verkohlter Kinderwagen im Hausflur» einander begegnend und sich mischend. In der/​s Riechenden Nase.
Beusselstrasse. Die Ankunft gelebter Desintegration. Der TXL, mit all seinen Flugreisenden, Urlaubshungrigen, Geschäftsleutigen, FlugbegleiterInnen. Ankunft. Durchreise. Hier kommen sie alle durch. Manche steigen um. Einige für immer. Steigen um auf Berlin.
Strasse. Klar. Hier leben viele auf und von der Strasse. Wo man in München noch sorgsam alles wegfegen kann und sogar Staub von Sichtschutzlamellen von Deckenbeleuchtungskörpern an S-​Bahnhöfen abwäscht (nicht nur sauber sondern REIN) — da fehlt es hier an allem. Schmutz, Dreck, Hundescheisse. Ja Hundescheisse. Nicht Kot oder Notdurft. Oder Häufchen. Oder Elend. Nein, hier wird richtig abgekackt. Geschissen. Das ist Beusselstrasse. Das ist Beusselkiez. Dabei hatte alles einmal so gut angefangen… (
)
Der Bahnhof ist der Umschlagplatz. Hier streifen bestimmt einige tausend Menschen pro Tag vorbei, entlang, weg.
So auch ich. Ein Kleinod Berliner Authentizität. Wer seinen Eltern einmal Berlin von unten zeigen möchte, der oder die steigen einfach hier aus und gehen in den Kiez.
Alle Angaben ohne Gewehr. Kommt nicht gut.
Als wir noch dort gewohnt haben, wurde Luftlinie 75m jemand auf der Huttenstrasse erschossen. Tagsüber. Im Familienstreit. So ist das eben, wenn man Schusswaffen mit sich rumträgt. Also bitte ohne Gewehr.
Und ich mag den Bahnhof. Wäre ich nicht schon glücklich verheiratet — ich könnte mich glatt verlieben.