Als ich in den 90ern in Berlin lebte gab es eine Oase in der ich oft & gern las — mich mit Menschen traf & die Sonne genoss oder die ich einfach als kurzen Aufatmer auf dem Weg von A nach B nutzte. Der Hirschhof ist ein Kleinod nachbarschaftlicher Initiative. Im Jahr 1985 wurden auf Initiative des WBA(Wohnbezirksausschüsse) mehrere Hofgrundstücke von Häusern der Oderberger Straße zu einem großen Gartengrundstück zusammengelegt, das fortan gemeinschaftlich als Stadtteiltreffpunkt genutzt wurde. Auch eine Freiluftbühne wurde dort errichtet und es gab Theater– & Filmvorführungen sowie regelmäßig im Sommer ein großes Hirschhoffest. Während die Stasi das Treiben argwöhnisch beobachtete und einige Meter Akten anlegte, unterstützten die Kommunalbehörden den Stadtteilgarten — auch finanziell. Die taz sprach vom«Bündnis zwischen Bürgerinitiativen und lokaler Staatsmacht», das auch die Wende überlebte. Der WBA in der Oderbergerstraße entwickelte sich in den frühen 1990er Jahren zu einem Aktionsbündnis und damit zu einem Kristallisationspunkt des Widerstands gegen Vertreibung. Das Kürzel WBA wurde beibehalten, doch nun stand es für «Wir bleiben alle». Unter diesem Slogan demonstrierten im Sommer 1992 über 20.000 Menschen gegen die anstehende Erhöhung der Mieten in Ostberlin. Mit den Erfahrungen einer erfolgreichen Interessenvertretung in der DDR versuchte man in den neuen Zeiten weiterzumachen. Doch jetzt hatte man es nicht mehr in erster Linie mit sturen, spießigen Behörden zu tun. Die Gesetze der Marktwirtschaft machten sich gerade im Kiez zwischen Oderberger Straße und Kastanienallee besonders bemerkbar. Nach dem Motto«Kaufen macht glücklich» entstanden nicht nur Läden und Galerien, sondern auch viele Hauseigentümer wandelten Wohnungen in teure Lofts und Eigentumsapartments um. Die Forderung«Wir bleiben alle» ist hier ein verblichener Slogan auf den wenigen noch unsanierten Häuserwänden. Neue Eigentümer verwehren Zugang Auch der Hirschhof ist von den Gesetzen der freien Marktwirtschaft gefährdet. Denn seit Oktober 2004 ist er nicht mehr zugänglich, weil die auf Privatbesitz liegenden Zugänge gesperrt sind. Der neue Hausbesitzer hatte angeordnet, dass das große Eingangstor zum Hirschhof verschlossen wird und dabei soll es auch bleiben. Zumindest bis ein Vertrag mit dem Bezirk über das Wegerecht abgeschlossen ist. Dem müssten aber auch die Eigentümer der mittlerweile in dem Haus entstandenen Eigentumswohnungen zustimmen. Offene Türen passen aber nicht so recht in eine Wohngegend, in der sich die vermögende Mittelschicht immer mehr einschließt. Der verbliebene Zugang über die Kastanienallee wurde vom Bezirksamt aus Sicherheitsgründen geschlossen. So gründete sich zum 20-jährigen Jubiläum des Hirschhofs eine neue Anwohnerinitiative, die einen freien Zugang und eine dauerhafte Sicherung des Hirschhofs fordert. Auch die Bezirksverordnetenversammlung(BVV) hat diese Frage schon beschäftigt. «Die Erschließung des Hirschhofs ist zurzeit aufgrund der nicht kooperativen Haltung privater Eigentümer nicht mehr gesichert. Dieser unhaltbare Zustand ist dringend zu beenden und der Hirschhof als öffentliche Grünanlage zu erhalten», heißt es in einem Antrag der Fraktion der Linkspartei in Prenzlauer Berg an die BVV. In einem Gebiet hipper Wohnkultur ist diese stadtentwicklerische Problematik leider allzuoft die Schattenseite.