Budapester Schuhe

Einmal im Leben ein Erbstück erstehen. Das stand irgendwie dahinter. Die Desillusionierung folgte auf dem Fuße. Welch ein wortgewaltiger Witz!
3 Kinder — was vererben? Wenn vom Papa irgendwann nur noch Schwachsinn und wirres Zeug übrig bleibt? Texte bei qype?
«Du Mama, wie war Papa eigentlich so?» (Papa ist immer geschäftig auf Reisen, auf Reisen, aufreissen… Oh Mann! Schon wieder assoziativer Wahnsinn. Ich sag’s euch, ihr, die ihr dies hier lesen — müsst ihr doch gar nicht. Beschwert euch woanders!)
Natürlich haben die Generationsnachfolger schon hin und wieder ihren Papa (ich bin doch der Papa, oder? Hiiiilfe!) zu Gesicht bekommen. Also ganz arg ist es nicht.
Aber ich habe von meinen Eltern nicht wirklich etwas mitbekommen, aus dem soetwas wie eine Familiengeschichte hervorgeht. Wie wär’s also mit einem abgelatschten, stinkenden unansehnlichen aber ehemals teuren Paar Schuhe? Nur was teuer ist hat auch Kwalli. Völlig unsinnige Schlussfolgerung, daher die Lektion — nie etwas aus einem Schluss folgern. Lieber mir folgen…
Gehe also hinein. Großartige Zahlen (Was bitte habe ICH dazu beigetragen???) bringen eingeplanten Geldsegen — etwas davon soll nun für’s Erbe draufgehen. Natürlich nicht ohne dass ich es vorher getragen hätte, das Erbe. Soll etwas werden, woran sich die männliche Zwergschaft noch lange erinnern soll: «Ach, das sind doch Papas Schuhe mit denen er uns immer … das Fussballspielen vergeblich hat beizubringen versucht…»
Nun, wir treten ein. Ohne Erbfolger. Ich habe im Schaufenster ein Pärchen gesehen. Nicht knutschend aber gutaussehend. 350EUR.
Wird angesehen, anprobiert. Die Atmo ist gediegen. Zahlungskräftiges Käuferpotenzial schlendert gelassen durch die enge Räumlichkeit. Überall nettes Schuhwerk. Ich mag Schuhe. So praktisch. So schön. So haltbar. Ich bin eine Frau.
Ich frage nach Pferdeleder. Ein Freund hat mir erzählt, das würde lange halten. Er trägt selbst die Schuhe seines verstorbenen Vaters. Irgendwie makaber und schön zugleich. Die Auswahl schrumpft urplötztlich auf eine handvoll Fußleder. Anlauf genommen, ins Tier getreten, zugeschnürt. Voilà — Ihr neues Fußleder. Direkt vom Schlachter. Die Wurst dazu finden Sie nebenan, in den Galeries Lafayette…
Ich sehe ein Paar. Es gefällt mir etwas besser als das erste. Rötlich. Wie schön! Passt zu braun und zu schwarz und zu grau und zu anthrazit. Das bin ich. Was soll’s?
750EUR. Ups. Einmal ist einmal. Zuviel. Denke ich. Egal. Ist ja für ewig, einen guten Zweck. Ich denke an’s Vererben. Will ich schon sterben? Née. Hat noch ein paar Jahrzehnte Zeit. So lange müssen die Dinger halten. Wenn ich dann mal Vorstand von Apple oder so bin, dann passen die mindestens zu mir. An der Kasse bei Aldi oder Hellweg sicher nicht? Prenzlauer Zwerg? Bitte? Née. Dumpfbackengetue in Yuppietown.
Schwitze etwas. Siebenhundertfünfzig Tacken. Ist ‘né Menge Holz. Mal so für Schuhe. Denke ich. Nicht drüber nach. Einfach tun. Und dann schnell raus. Meine Frau erträgt das alles mit Fassung. Sie sagt sinngemäß (Traditionelle Rollenverteilung?) «Du verdienst das Geld, das musst Du wissen.» Kein Vorwurf in der Stimme, keine Anklage «Bist Du total BESCHEUERT???». Kein Unterton. Sie meint es wie sie es sagt. Ich kenne sie gut. Sie überlässt mich mir selbst. Sie hat recht. Ich muss es selbst wissen. Ich weiss nix mehr. Leer.
Ich kaufe. Siedendheiss fällt mir ein (und ich schwitze bereits) — womit pflege ich die toten Pferde? Balsamiere ich sie ein für ihren ewigen Schlaf in die Jagdgründe? Das alte Ägypten erscheint vor mir. Mumie, Pyramide. Es wird entsprechend wärmer. Die Verkäuferin empfiehlt mir ein Döschen Fettmasse. Wahrscheinlich Nasenfett von schwitzenden Indern, die zu heissen Tee getrunken haben. Abgeschöpft zu 4.000EUR der Liter. Ich fantasiere. Delirium. Fata Morgana?
Mir ist heiss, sehr heiss. Wir wollen den Laden verlassen, nein ich. Da fällt mir ein — was mache ich, wenn’s regnet? Was tut ein Pferd, wenn es regnet? Bin ich ein Pferd? Nein. Also Frage «Haben Sie Galoschen?»
Das war zu viel. Schon immer träumte ich davon. Englischer Lord. Französischer Intellektueller. Mit Galoschen durch den Regen. Wichtige Gedanken im Kopf.
Sie sagt ja. Ich probiere sie über. Schweres Unterfangen. Zu groß ist zu groß, passend zu klein, schwer drüber zu ziehen. Neopren. USA. Eigenartig. Nun — egal.
Wir gehen zu Kasse. Ich zahle. Ich komme auf über 900EUR. Ich bin verrückt. Definitiv. Niemand sagt etwas. Es ist normal hier. Ich bin auch normal. Nur nicht hier. Die reichen Russen nehmen keinerlei Notiz. Scheuchen die armen Verkaufskräfte hin und her. Wir hatten mit unserer Verkäuferin nette und belanglose Gespräche über Kinder (Erben???). Das hat mich gewogen gemacht, eingelullt. Bewogen zu kaufen.
Die Galoschen haben 120EUR gekostet. Soviel zahle ich normal für Schuhe. Übergeschnappt. Ich beichte hiermit. Wir hatten 4 Kinder, eines musste wegen der Schuhe verhungern.
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Weshalb nur 4 Sterne? Naja, es gab 2