Wer näht, kommt in Kreuznach kaum um Holz herum. Hier bekommt man Reste und Stoffe mit kleinen Mängeln, diese dann aber verhältnismäßig günstig, sowie Nähzutaten. Das winzige, unscheinbare Lädchen gibt es, seit ich mich erinnern kann; vor zehn oder fünfzehn Jahren haben die Hobbyschneiderinnen der Region gebangt, als das Nachbargeschäft ausbrannte Bei meinen ersten Besuchen hier konnte ich noch nicht über den Ladentisch schauen, aber über die Jahrzehnte hat sich — außer meiner Perspektive — nicht viel verändert. Vor allem der Geruch nach unverarbeiteten Tuchen ist immer noch derselbe. An allen verfügbaren Wänden stapeln sich die Stoffe bis unter die Decke. Ich weiß nicht, wie groß der Raum wäre, wenn man all die Stoffballen heraustrüge. Vermutlich doppelt so groß. Drei quadratische Möbelpacker wären sicher zwei Tage damit beschäftigt. Schwere Wollstoffe, geblümte Chiffons, trötbunte Karnevalsfetzen, diskret gemusterte Anzugtuche, mercerisierte Baumwollen, Samt, grober Strick, Wattiertes — es ist kaum möglich, sich ein Kleidungsstück zu denken, für das es hier nicht den richtigen Stoff gäbe. Kommt das tatsächlich einmal vor, so wird er bestellt. Den Durchblick hier hat Frau Reinke, die freundliche Schneiderin. Auch ihre Mitarbeiterinnen sind in der Regel vom Fach. So wird man bestens beraten, von der Planung des Kleidungsstückes bis zum letzten Knopf. Man bekommt Futterstoffe, Reißverschlüsse, Spitzen, Gummibänder und allerlei andere Nähzutaten auch in kleinen Mengen. Und zu meinem ganz persönlichen Entzücken werden die Stoffe immer noch mit dem blankgewetzten Ellenstab abgemessen, der schon alt war, als wir hier die Seide für mein Abschlußballkleid gekauft haben. Achja, die Öffnungszeiten sind etwas undurchsichtig — am besten vor dem Besuch anrufen.